Archiv 2005 - 2001

13.09.2002

Nette Lehrer gesucht

Pressemitteilung: Nette Lehrer gesucht. Professor Rainer Dollase über Gewalt und Friedlichkeit in unserer Gesellschaft

Der Vortrag eröffnete die Reihe „LebensFragen. Verantwortliches Handeln in bewegten Zeiten” der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Nicolai und der Erwachsenenbildung der Lippischen Landeskirche.
Rainer Dollase, der auch am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität in Bielefeld arbeitet, geht davon aus, dass ausnahmslos alle Menschen zu aggressivem Handeln bereit sind. Die Aggressivität etwa in der Schule sei generell nicht größer als früher – verändert habe sich das, was an Aggression in der Schule akzeptiert wird. Er berichtete von seiner Schulzeit in den fünfziger Jahren, in der die Pausenaufsicht grundsätzlich von allen Lehrern durchgeführt werden musste, da überall immer wieder neue Prügeleien vorkamen.
Da Aggression im Menschen angelegt sei, könne die Erziehung nur das Ziel haben, die Auslöser einzudämmen. Dafür müsse zunächst das Selbstwertgefühl des Menschen stabil bleiben. Voraussetzung: „Das Selbst- und Weltbild muss mit der Realität übereinstimmen.“ Dies sollte Erziehung leisten. Doch Dollase schränkte ein: „Allerdings ist Erziehung ist nicht kalkulierbar. Erziehung heißt vor allem Zuwendung in Familie, Kindergarten und Schule. Der Einzelne muss sich als zugehörig erleben. Das kostet viel Zeit. Die Erfolge von Erziehung sind nicht eins zu eins messbar.“ Eltern, Erzieher, Pädagogen und Lehrer müssten also bereit sein, viel zu investieren, ohne zu wissen, was dabei heraus kommen wird. Sie müssten „nett” zu denen sein, die sie erziehen sollen.
Dafür, so Rainer Dollase, seien Kindergärten, Schulen und andere Einrichtungen in der Regel viel zu groß. Hier könne persönliche Zuwendung kaum geleistet werden. In der Diskussion wurde später die „utopische” Zahl von sieben Personen pro Gruppe als optimal bezeichnet. Dollase kritisierte auch das Ausbildungssystem für Erzieher, in der das vorbildliche Verhalten, das praktische Üben des Berufes völlig vernachlässigt werde.
Gleichzeitig sprach er sich für klare Leistungsmaßstäbe aus: „Zuwendung heißt nicht Beliebigkeit.“ Wer allerdings die sachbezogenen Leistungen nicht erbringen kann, dürfe nicht in seiner Persönlichkeit herabgewürdigt werden, sondern müsse entsprechend einfachere Aufgaben erhalten: „Eine Gesellschaft braucht nicht nur Akademiker und Manager, sondern auch Menschen, die Stühle und Straßen bauen können.“ Eine weitere Forderung an die Erziehung: „Das Gruppendenken muss aufgebrochen werden.“ Alle Menschen sollten immer das Interesse haben, dem Individuum zu begegnen und den anderen nicht als Mitglied einer abstrakten Gruppe zu sehen wie die Frauen, die Männer, die Ausländer, die Muslime, die Russlanddeutschen und so weiter.

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