Archiv 2005 - 2001

19.11.2002

Täter oder Opfer?

Pressemitteilung: Ein Führung über den Ehrenhain am Friedhof Blomberger Straße in Detmold

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Nachdenkliche Fragen stellte Stadtarchivar Dr. Andreas Ruppert bei seiner Führung über den Ehrenhain am Friedhof Blomberger Straße.

Am 31. Mai 1917, also während des Ersten Weltkrieges, verbrannten in Detmold bei einer Explosion in den Lippischen Staatswerkstätten 63 Frauen und neun Männer. Sie hatten Munition produziert, wobei die Sicherheitsmaßnahmen gröblich missachtet wurden. „Indem die Opfer mörderischer Arbeitsbedingungen im Ehrenhain in den großen Rahmen der Kriegstoten eingebunden wurden, waren sie plötzlich Opfer für eine höhere Sache, Heldinnen und Helden neben den Gefallenen an der Front“, erklärte Ruppert und berichtete weiter, dass für das Unglück niemand zur Rechenschaft gezogen wurde.
Als der Ehrenhain am 31. Mai 1918 eingeweiht wurde, war immer noch Krieg. Ruppert schilderte die zwiespältige Konzeption, die hinter der Anlage steht: Einerseits sollte der Hain als Friedenssymbol für die ungestörte Totenruhe stehen – andererseits weist das Wort „Ehre“ auf den verherrlichten Soldatentod. Entsprechend symbolisiert die Steinskulptur am Eingang einerseits Niederlage und Tod – ein nackter sterbenden Soldat –, andererseits ist die Heldenpose, verdeutlicht durch den Stahlhelm, unübersehbar. Dazu Ruppert: „Die Opferpose der Nacktheit ist die steingewordene Lüge – entscheidend ist etwas anderes: der Stahlhelm, und er ist eine Drohung.“
109 Gefallene des Ersten Weltkriegs, aber auch später an Kriegsfolgen Gestorbene sind hier bestattet.
78 Soldaten starben in Friedenszeiten, als am 31. März 1925 während eines Manövers eine überfüllte Fähre auf der Weser bei Veltheim sank. Acht der Opfer wurden im Ehrenhain beigesetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurden weitere Soldaten im Ehrenhain beerdigt, außerdem Opfer von Bombenangriffen und ausländischer Zivilarbeiter. Ein marmorner Gedenkstein mit Stahlhelm und Eichenlaub für einen 1942 in Russland Gefallenen war für den Archivar Anlass zu der Überlegung, wie Tod und Trauer angesichts des faschistischen Angriffskrieges zu bewerten sind: „Wäre es denn besser, dieser Soldat hätte überlebt und weiter in Russland an Mord und Totschlag mitgewirkt?“ 1960/61 wich die Inschrift am Eingang „Den gefallenen Helden“ von 1918 dem jetzigen Text, wonach die Gefallenen der Weltkriege „die Lebenden mahnen“. Ruppert kommentierte dies als inhaltsleere Formel, die auf Angaben zu Tätern und Opfern verzichtet: „Ein Zeichen für ein Bewusstsein, das irgendwie verstanden hatte, dass alles schiefgelaufen war, das aber noch keinen neuen, eigenen Weg gefunden hatte.“ Bemerkenswert sei, dass bei den Steinkreuzen, die damals die Holzkreuze ersetzten, auf die Angabe der Dienstränge verzichtet wurde: „Vor dem Tod sollten alle Soldaten gleich sein und in gleicher Weise mahnen.“ Mit einer Ausnahme: Ein General a.D. setzte durch, dass das Kreuz für seinen Schwiegervater Oberst Lorenz von Gottberg, letzter Kommandeur des lippischen Infanterieregiments Nr. 55, den Rang zeigt. So hebt sich bis heute im Ehrenhain ein Grabstein heraus – „als Zeichen einer Zeit, als der Krieg anders bewertet wurde als heute“, erklärte Andreas Ruppert.

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