Klangbild der Zeit

„Sinfonisches Gedicht für 100 Metronome“ in der Kirche im Kerzenschein

Pfarrer Maik Fleck eröffnete die „Kirche im Kerzenschein“ mit einer Lesung aus dem „Prediger Salomo“.

Horn/Kreis Lippe. „Nein, wie die Zeit vergeht!“ Unter dieser Überschrift stand am Ewigkeitssonntag, 25. November, die Hornsche „Kirche im Kerzenschein“. Im Chorraum und im Saal der evangelisch-reformierten Stadtkirche waren auf mehreren Tischen mehr als 70 Metronome aufgebaut worden. Nachdem Pfarrer Maik Fleck aus dem „Prediger Salomo“ („Ein jegliches hat seine Zeit …“) vorgetragen hatte, setzte ein Team in wenigen Sekunden alle Metronome in Gang. Die mechanischen Taktgeber führten nun das „Sinfonische Gedicht für 100 Metronome“ auf, ein experimentelles Musikstück des ungarischstämmigen Komponisten Györgi Ligeti (1923 - 2006).

„Wir wollen nachdenken über unsere Zeitlichkeit, indem wir hinhören und uns einfühlen“, hatte Pfarrer Fleck zu Beginn des „Rhythmuskonzertes“ auf den möglichen spirituellen Wert des Musikexperiments hingewiesen. Fleck bat die Besucher, sich auf die besondere Atmosphäre der nur von Kerzen erleuchteten Kirche einzulassen und ihre Gedankenmeditation von den Schlaggeräuschen der Metronome inspirieren zu lassen. Er erläuterte, dass Ligeti versucht habe, das Leben und die Zeit mit Mitteln der Musik darzustellen. Was das „Sinfonische Gedicht für 100 Metronome“ bei den Zuhörenden bewirke, wisse man im Voraus nie. Auch Györgi Ligeti habe das 1963 uraufgeführte Werk seinerzeit nicht näher erläutert. Die „Konzertpartitur“ beschränke sich auf die Angaben, wie man die Metronome beschaffen, auf- und einstellen sowie aufziehen soll.

Zu Konzertbeginn tickten die Apparate los, als ob ein Hagelschauer auf Dachflächenfenster niedergeht. Die von den 73 Metronomen - 100 waren in Horn nicht aufzutreiben gewesen - erzeugten Rhythmusstrukturen überlagerten sich so, dass sie zusammen eine fast ohrenbetäubende Klangmasse bildeten. Mit dem allmählichen Ausdünnen der Schlaggeräusche entstanden fassbare, wenn auch zufällige Muster. Manche Metronome schlugen jetzt deutlich hörbar eine Zeitlang im Gleichtakt, dann trennte sich ihr Rhythmus wieder. Sie gerieten aus dem Takt und fanden andere „Partner-Metronome“, mit deren Frequenz sie zeitweilig wieder annähernd übereinstimmten.

Ein Lob gebührt dem Publikum in der Kirche. Kaum ein Wort war während der guten Stunde zu hören, als die meisten Metronome tickten. Selbst als nach mehr als 80 Minuten nur noch ein besonders ausdauernder Taktgeber schlug, herrschte konzentriert-meditative Stille im Kirchsaal.

Nach etwa 90 Minuten beendete der letzte Tick des letzten Metronoms das Konzert. Pfarrer Fleck hatte nicht damit gerechnet, dass das „Sinfonische Gedicht“ so lange dauern würde. Bei einer Generalprobe zuvor hatte kein Metronom länger als eine Stunde geschlagen. Ein vom Erlebten beeindruckter Zuhörer verabschiedete sich von Pfarrer Fleck mit den Worten: „Am Ende kam mir die Zeit wie eine Ewigkeit vor - aber nicht beklemmend still, sondern entspannend ruhig.“

28.11.2007